SODOM SERIES.
Sodom und Gomorra – die Städte der Sünde, die dafür von Gott mit der Vernichtung bestraft wurden. Der aufrechte fromme Lot, Abrahams Neffe, der sich mit seiner Familie vor dem Untergang Sodoms retten durfte. Seine Frau, die trotz des himmlischen Verbots ihre Neugier nicht zügeln konnte und deshalb zur Salzsäule erstarrte. Schließlich die beiden Töchter Lots, die den Vater in der Höhlen-Zuflucht betrunken machten und sich „zu ihm legten“, damit das Menschengeschlecht überlebe. Diese martialische Episode aus dem Buch Genesis des Alten Testaments hat schon in allen Zeitaltern die Fantasien beflügelt und als Projektion für moralische Codierungen gedient. Sodom und Gomorra: Damit kann jeder etwas anfangen, selbst wenn er nie selbst in die Bibel geschaut hat.
In der Wüste auf der israelischen Seite des Toten Meeres, dort wo nichts mehr wächst und nichts mehr ist außer einem heruntergekommenen Magnesium-Abbau und ein entlegener Kurort für Hautkranke, dort weist an der Landstraße auf einmal ein Schild zum „Mount Sodom“. Stephanie Kloss ist dort hin gefahren und hat diese unwirtliche Landschaft fotografiert. Es gibt auch eine Felsspalte, die man „Lots Höhle“ genannt hat und selbst eine Salzsäule, die ganz offiziell mit der neugierigen Frau in Verbindung gebracht wird. Niemand weiß genau, seit wann diese Orte so heißen; und die biblischen Archäologen haben bislang keine Hinweise gefunden, dass hier tatsächlich eine untergegangene Stadt lag. Die Orte, die Kloss aufgenommen hat, sind Unorte, es ist eine Landschaft, die sich nur durch unsere Vorstellung mit einer Bedeutung auflädt. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, was hier einmal war. Aber das Wissen um das biblische Geschehen, das hier womöglich stattfand, gibt diesen Fotografien eine doppeldeutige, auratische Stimmung. Es sind menschenfeindliche, tote Orte – nicht um alles in der Welt will man dort sein. Kloss’ Bilder sind in einer eigenartigen, morbiden und fast vergifteteten Weise faszinierend. Das liegt daran, wie sie mit virtuoser Technik das besondere an dieser tristen Welt konzentriert und präpariert. Die mit Mythos und Sinn aufgeladene Landschaftsdarstellung der Romantik schwingt hier immer mit.
Aus Anlass ihrer Erstpräsentation der „Sodom Series“ zeigt Stephanie Kloss auch eine Auswahl ihrer Fotografien, die sie in El Cabrito auf La Gomera machte. Heute ein ökologisch korrektes Ferien-Resort, lebte hier Otto Mühl von 1987 bis 1990 mit bis zu 350 Anhängern seiner Kommune. Auch Kloss’ Aufnahmen, die hier 2010 entstanden, sind Bilder der verdeckten und fehlenden Spuren. Nichts deutet in den banalen Baulichkeiten darauf hin, dass hier Mühls sozialutopisches Lebensexperiment in Machtwahn und Gruppenterror endete. Kinder wurden ihren Eltern weggenommen und entfremdet, peinigenden Disziplinierungsritualen ausgesetzt und mussten Mühl sexuell zu Diensten sein. In El Cabrito liegt ein Mantel des Schweigens über diesen Verbrechen, für die Mühl 1991 in Österreich zu siebenjähriger Haft verurteilt wurde. Genau von diesem Vergessen handeln die Bilder von Stephanie Kloss.
Sebastian Preuss